Traumhafte Niederlage in Hamburg

Traumhafte Niederlage in Hamburg

2. September 2024 11 Von Carsten Schulte

1:4 in Hamburg: Niederlage drei im vierten Spiel. Sportlicher Abstiegskampf. Ja sicher, das ist alles ausbaufähig. Und dass Kritik am rein sportlichen Teil durchaus angebracht ist, liegt auf der Hand. Nur als Tourist will der SC Preußen Münster schließlich nicht in der 2. Bundesliga unterwegs sein. Anders gesagt: Der Adler muss bald mal ein paar Krallen zeigen. Und trotzdem ist das nicht der einzige Aspekt.

„Am Ende ist für den SCP nichts wichtiger als der Klassenerhalt.“ So steht es nun in einem Kommentar in den „Westfälischen Nachrichten“. Das mag man so sehen, im Vordergrund eines Fußballklubs steht schließlich der Fußball. Für einen Klub selbst sind Liga und Tabellenplatz relevante Eckpfeiler, die umso wichtiger werden, je höher ein Fußballklub spielt. Und letzten Endes geht es immer um Geld.

Aber Fußball ist mehr als nur ein Ergebnissport. Der Fußball bringt Menschen zusammen, wenn man das mal so halb pathetisch sagen will. Er dient weit mehr als nur der Tabelle. Ein Erlebnis wie das in Hamburg reicht daher über das nackte Ergebnis hinaus. Wann gab es das zuletzt, dass Rastplätze entlang der A1 voll mit schwarz-weiß-grünen Schals und Trikots waren? Und nicht solcher der Gladbacher? Nein, diesmal die richtigen Farben, der richtige Klub. Borken, Steinfurt, Coesfeld, Warendorf, Münster. Eine ganze Region setzte sich am Samstag (teilweise ja schon Freitag) in Bewegung. Und zwar trotz des wackeligen Saisonstarts. Trotz der dürftigen sportlichen Aussichten. Das sagt doch etwas.

Das „alle zusammen für Preußen Münster“ werde nicht für immer halten, heißt es in den „WN“ weiter. Und auch das ist formal korrekt. Nichts ist für immer. Aber man kann eben auch sagen: Dieses über mehrere Jahre gewachsene Verhältnis zwischen Fans und Klub und Mannschaft geht nicht zwingend in die Binsen, nur weil die Ergebnisse ausbleiben. Vielleicht muss man dem Umfeld zutrauen, dass es mehr versteht von dem, was da passiert. Dass der SCP aus Versehen (aber nicht unverdient) in eine Liga gestolpert ist, in die er weder infrastrukturell noch wirtschaftlich gehört. Zumindest nicht jetzt gerade.

Preußenfans in Hamburg.

Und das ist dann der Knackpunkt. Der SC Preußen kann am Ende der Saison absteigen, dann wird es nicht gereicht haben. Münster ist nicht der erste Aufsteiger, den dieses Los treffen würde. Aber selbst ein Jahr in der 2. Liga hätte etwas mit allen gemacht. Die Erfahrungen sind unbezahlbar – und wenn es der SC Preußen geschickt anstellt, fällt er nach einem Abstieg auch nicht ins Bodenlose. Die Perspektive ist da – in zwei Wochen bekommt sie Konturen. Dann ist das künftige Stadion endlich sichtbar. Mit dem Stadion wird der Klub eine ganz andere Wucht entfachen – nicht nur bezogen auf die reinen Ränge. Sondern auch bezogen auf die Atmosphäre, die Lautstärke im neuen Stadion. Diese Aussichten nimmt der SCP jetzt mit.

Und ganz ehrlich: Wer den SC Preußen länger als nur ein oder zwei Jahre begleitet, vielleicht schon seit zehn Jahren oder Jahrzehnten, kommt derzeit doch ohnehin nicht aus dem Staunen heraus. Sicher tut die Niederlage in Hamburg weh, verlieren will niemand. Aber das Erlebnis, gemeinsam im Trikot im Volksparkstadion zu stehen, auf einer Stufe mit dem Hamburger SV? Das ist unbezahlbar. Das ist noch vor drei Jahren unvorstellbar gewesen. Und es geht so weiter. Soll sich an dem Bild etwas ändern, wenn die Preußenfans auf Schalke aufschlagen? Im Berliner Olympiastadion?

Darf man sagen, dass dieses Gemeinschaftserlebnis weit über den Sport hinausgeht? Die Ergebnisse sind so oder so bald vergessen. Mindestens verblassen sie. Die Geschichten im Block, auf der Straße, auf dem Weg durch Deutschland: Diese Geschichten haben Bestand. Das verbindet. Ob die „Euphorie die Realität vernebelt“, fragt die „WN“. Es ist anders. Die Euphorie trotzt der Realität. Dass der SC Preußen sportlich noch nicht wirklich wettbewerbsfähig ist, kann jeder sehen, der die Spiele verfolgt. Aber was soll denn jetzt passieren? Aufsaugen, genießen, mitnehmen. Euphorie tanken ist angesagt, davon kann es nicht genug geben. 33 Jahre lang stand der SCP für Mittelmaß. Und jetzt, wo die Adler ein bisschen mitfliegen, soll die Freude darüber eine temporäre Erscheinung sein? Kann sein. Muss nicht. Vermutlich ist sie es nicht. Man müsste den Fans in der Kurve etwas mehr vertrauen, die wissen schon Bescheid.

Hamburg war traumhaft. Weil diese Momente mehr bedeuten als ein Ergebnis. So einfach ist das.

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