Christoph Strässer: „Abstieg? Das Risiko besteht“
5. Juni 2020Alles beim SC Preußen Münster hängt zwischen Baum und Borke. Das Stadion kommt – aber wann? Spielt der SCP demnächst wieder viertklassig? Wer bleibt, wer geht? Nichts ist klar, alles ist offen. Es stellen sich grundlegende Fragen zur Zukunft des SC Preußen. Preußen-Präsident Christoph Strässer spricht mit 100ProzentMeinSCP über diese Themen…
Das Heimspiel gegen Halle sah Christoph Strässer bei MagentaSport. Im Stadion war er nicht, das hatte er vorher in einem Vereins-Interview angekündigt. Ein kleiner Protest gegen die Fortsetzung der 3. Liga. „Wenn das eine Botschaft war, dann kam sie an“, so Strässer am Donnerstag im Gespräch mit 100ProzentMeinSCP. „Meine Position ist nach wie vor, dass die Saison-Fortsetzung falsch ist.“
Sehr viel mehr mag Strässer dazu nicht mehr sagen. Die Positionen sind ja bekannt und hinlänglich formuliert, viel Neues ist nicht mehr zu erkennen. Die erbarmungslose und beispiellose Terminhatz der 3. Liga kommentiert Strässer ernüchtert. „Die Gesundheit der Spieler scheint keine große Rolle mehr zu spielen.“ Aber das ist nun nicht zu ändern, die Liga muss spielen, niemand kommt da raus. Jetzt stehen aber ein paar ziemlich kritische Themen an.
Zunächst: Strässers Protest soll im Sinne des Wortes “einmalig” bleiben. Die Partie gegen Unterhaching will er am kommenden Sonntag wieder live im Stadion verfolgen – natürlich kribbelt es. Daraus macht Strässer auch gar kein Geheimnis. „Ich habe gegen Halle mitgefiebert, in voller Solidarität mit der Mannschaft – und am Sonntag gegen Haching bin ich wieder live dabei, wobei die Wut und das Unverständnis über das Verhalten des DFB in keiner Weise nachgelassen hat.“
Mitgefiebert hatte er auch bei der Partie in München. Dass der SCP dort eine starke Partie angeboten hatte (zwei Tore beim besten Rückrundenteam, leider ein spätes Gegentor), das war auch dem Präsidenten nicht entgangen. So muss man in der 3. Liga und im Abstiegskampf auftreten. „Die Leistung in München war absolut top. Jetzt darf die Mannschaft nicht die Köpfe hängen lassen.“ Dafür werde das Trainerteam sicher sorgen.
Trotzdem: Ein bisschen fühlte sich Strässer an die “Vor-Corona-Partie” bei Viktoria Köln erinnert. „Da hatte bis zur 70. Minute auch niemand gedacht, dass diese Partie noch verloren gehen könnte.“ Aber so ist der Fußball eben; immer für eine Überraschung gut.
Klassenerhalt ist das Ziel – und es ist machbar
Um es deutlich zu sagen: Der Klassenerhalt ist angesichts der aktuellen Tabellensituation eine Herkulesaufgabe, ohne Zweifel. Das Vertrauen ins Team ist aber da. Christoph Strässer lässt auf Mannschaft und Trainer nichts kommen. Die Zahlen und der grundsätzliche Aufwärtstrend sprechen ohnehin für sich. Aber es deutet sich an, dass der SCP im schlimmsten Fall zwar selbst punktet, die Konkurrenz aber auch. Die gute Nachricht im Abstiegskampf: Gleich vier der direkten Konkurrenten im Abstiegskampf und Tabellenkeller sind noch Gegner der Preußen (Chemnitz, Magdeburg, Zwickau, Großaspach). Aber der SCP spielt auch noch gegen vier Top-Teams (Unterhaching, Mannheim, Ingolstadt und Braunschweig).
Während am 28. Spieltag vieles für den SCP lief, war das am 29. Spieltag schon wieder nicht der Fall. Magdeburg gewann, Großaspach gewann, Viktoria Köln gewann. Gestern hui, heute puh. Das Auf und Ab wird den SCP bis zum letzten Spieltag begleiten, dafür muss man kein Hellseher sein.
Es besteht, auch wenn der Präsident das nicht weiter befeuert, die reale Möglichkeit, dass am Ende der vierte Abstieg der neueren Vereinsgeschichte (nach 1964, 1991 und 2006 – wenn man die Nicht-Qualifikation zur damals neuen 2. Bundesliga 1981 außen vor lässt) zu betrauern sein wird.
„Wir dürfen nicht die Köpfe hängen lassen“, formuliert es Strässer kämpferisch, „abgerechnet wird nach dem letzten Spieltag.“ Aber der Abstieg ist ein Szenario, das nicht wegzudiskutieren ist. „Das muss thematisiert werden“, gibt auch Strässer zu. „Das Risiko besteht, da kann man nicht drumherumreden. Und in den Gremien-Sitzungen sprechen wir auch darüber, natürlich, alles andere wäre doch verantwortungslos. Auch wenn wir alle davon überzeugt sind, dass wir es schaffen!“
Dass derzeit keine Antworten zu haben sind, ist der Natur der Sache geschuldet. Vieles, wenn nicht alles, hängt von der Ligazugehörigkeit ab. Das beginnt mit Spielerverträgen, die Klauseln über den Klassenerhalt enthalten, geht weiter über den Sport-Geschäftsführer bis hin zu Sponsorenverträgen. „Alles hängt mit allem zusammen“, so Strässer nüchtern. Nicht einmal der Saisonbeginn der Spielzeit 2020/2021 ist bekannt. In diesem völligen Nebel sollen, müssen Entscheidungen getroffen werden.
Allen voran: Was wird aus Sport-Geschäftsführer Malte Metzelder? „Dazu gebe ich keinen Kommentar ab.“ Über Gerüchte wolle er nicht reden, nur über Ergebnisse. Strässer bestätigt zwar Gespräche mit Metzelder (“Ich spreche aber ständig mit ihm”), will und kann über die Zukunft des früheren Preußenspielers nichts sagen. Klar ist: Metzelders Vertrag läuft am 30. Juni aus. Will er bleiben? Wenn ja, unter welchen Konditionen? Und welche Möglichkeiten wird er haben – und in welcher Liga? Dass der SC Preußen auch in der Regionalliga einen Sportdirektor aufbieten sollte, hält Strässer immerhin für geboten und wichtig. „Es ist noch einiges in der Schwebe. Wir brauchen eigentlich Klarheit, aber die haben wir nicht.“
Zu irgendeinem Zeitpunkt im Juni muss und wird auch eine Entscheidung fallen, selbst bei vielen offenen Fragen zur kommenden Saison. Entweder geht der Sportchef ein persönliches Risiko ein, weil er die Umstände und Rahmenbedingungen noch gar nicht kennen kann. Oder der SCP lehnt sich aus dem Fenster und verlängert mit dem Sportchef, obschon noch völlig offen ist, wieviel Geld in 2020/2021 zur Verfügung steht. Wie auch immer: Es wird ein Schritt ins Ungewisse für alle Beteiligten.
Die Arbeit ist nicht nur für die Klubgremien schwierig, sondern auch für die Dienstleister. Vermarkter Lagardére (bald wieder Sportfive) muss Sponsoren ansprechen und Bereitschaft für die Regionalliga abklopfen. Bleiben die Partner dem SCP treu? Die Signale der vergangenen Monate waren ermutigend, aber da ging es auch um Neuverpflichtungen für den Klassenerhalt und Solidarität in Corona-Zeiten. Gehen sie den Weg auch in die erneute Viertklassigkeit mit? Antworten offen – wie so vieles. „Der Vertrag mit Lagardére gilt auch für die Regionalliga“, so Strässer. Das immerhin ist also klar. Ob die Partnerschaft, die ein Abschiedsgeschenk vom früheren Aufsichtsratsboss Thomas Bäumer war, den Klub noch begeistert? „Wir haben die Verträge nicht gemacht, aber wir brauchen Lagardére – und die Zusammenarbeit ist gut und funktioniert“.
Die ganze Lage ist verzwickt. Den meisten Fans sind die hoffnungsvollen Worte aus Zeiten der Ausgliederung noch im Ohr. „Wenn wir die 3. Liga verlassen, dann nur nach oben“ – so klang das damals immer. Viele hatten sich eine bessere Zukunft erhofft, aber die Realität ist eine andere.
Und hier verweist der Präsident auf ein schwieriges, weil auch emotionales Thema. Eines, das auch Autor Dietrich Schulze-Marmeling in seinem 2019 erschienenen Buch über den SC Preußen Münster aufwirft: Ist die 3. Liga wirklich selbstverständlich für den SC Preußen Münster?
Strässer steckt in diesen Fragen. Er denkt über die Zukunft des Klubs nach. In der 3. Liga sieht er eine „Zweiteilung“ zwischen den de-facto-Zweitligisten wie Kaiserslautern, 1860 München, Ingolstadt, auch Rostock oder Braunschweig. Das sind Klubs, deren Umfeld und Geschichte eigentlich durch Profifußball geprägt wurden und die das auch heute noch so ausstrahlen. Vor 25, 30 Jahren war der SCP auch so ein gefühlter Erst- oder Zweitligist, aber diese Zeiten sind lang vorbei. Aber mit diesen Zweitligisten in der 3. Liga, teilweise mit starken Partnern (Audi) oder solventen Geldgebern, die über die Vereinspolitik bestimmen und von denen die Klubs abhängig sind, kann der SCP kaum mithalten. „Das wollten und wollen wir beim SCP ja auch nicht“, erinnert Strässer an den Wunsch der Mitglieder.
„Um konkurrenzfähig zu bleiben, egal in welcher Liga, brauchen wir starke Partner. Partner, die sich zu den Zielen des SC Preußen bekennen und ihn als positiven Bestandteil Münsters und des Münsterlandes sehen. Das ist weit schwieriger, als die jetzt Verantwortlichen es sich vorstellen konnten.“
Ohne frisches Geld wird es der SCP schwer haben. Und dass der Gürtel eng sitzt, ist bekannt. Wie hatte es Finanz-Geschäftsführer Bernhard Niewöhner auf der Mitgliederversammlung im Januar formuliert? „Vielleicht haben wir die Sparschraube etwas überdreht…“
„Wie es hier weitergehen kann, geht mir schon seit einigen Monaten durch den Kopf“
Christoph Strässer
Jetzt muss der SCP sich klar werden, wie er sich aufstellt. Das ist Teil der Überlegungen, die auch der Präsident vornimmt. „Wie es hier weitergehen kann, geht mir schon seit einigen Monaten durch den Kopf. Es ist nicht selbstverständlich, was hier passiert.“ Die Teilnahme an der 3. Liga ist damit gemeint. Auch die Stadionsanierung. „Das ist ein Zwiespalt, in dem man steckt“, gibt Strässer zu. Natürlich werde man alles dafür tun, um zu dokumentieren, dass man dem Team den Klassenerhalt zutraue. „Wir vertrauen dieser Mannschaft und dem Trainerteam voll und ganz. Und gerade in dieser Phase ist es ja so bedauerlich, dass der in letzter Zeit so spürbare Schulterschluss zwischen Fans und der Mannschaft sich nicht im Stadion bemerkbar machen darf.“
Ein Abstieg in die Regionalliga würde aber vieles verändern. “Wir müssten uns so aufstellen, dass wir wieder aufsteigen können.” Aber es gibt nach Strässers Einschätzung im Klub unterschiedliche Auffassungen, wohin der Weg des SCP gehen soll. Diese Frage müsste man, so der Präsident, vielleicht einmal in einem größeren Rahmen mit den Mitgliedern diskutieren. Was will der SCP? Wohin will er? Das könnte vielleicht mal ein Thema werden für das Leitbild des Klubs, das ja noch immer gestaltet werden soll. Aber erst einmal müssen wir die aktuell schwierige Situation erfolgreich bestehen – das ist das wichtigste!
Abstieg nicht verniedlichen
Das sollte nicht missverstanden werden: Der SC Preußen ist keinesfalls gewillt, einen Abstieg hinzunehmen. Strässers persönliche Einschätzung lautet: „Der Klassenerhalt ist wichtig, im Abstiegsfall sollten wir sofort wieder aufsteigen.“ Aber der Blick in die Regionalliga West zeigt, dass auch dort viele anspruchsvolle Gegner den Sprung in die 3. Liga oft verpassen. Aachen, Essen, Oberhausen, auch Wuppertal. „Ein Abstieg wäre eine ganz schwierige Kiste, das sollten wir nicht verniedlichen. Es würde zwar einiges günstiger werden (Fahrtkosten), aber vieles wegfallen (TV).“
Was auch immer die kommenden Monate für den SCP bereithalten: Eines sei sicher. „Wir werden nicht in eine Verschuldung gehen, die die wirtschaftliche Grundlage des Klubs gefährdet. Das wird mit uns nicht passieren.“ Dass der Druck auf den SCP groß sei, liege auf der Hand. Die Situation sei extrem… nun ja, was denn? Komplex? Außergewöhnlich? Bisher ohne Beispiel? Vermutlich von allem etwas.
Sport ist das eine. Aber neben dem Sport muss der SCP auch andere Fragen klären. Für den Präsidenten, der sich nach langen Überlegungen für weitere drei Jahre verpflichtet hat, werden die Zeiten auch nicht einfacher. „Es gab schon mal einfachere Aufgaben in meinem Leben…“
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