Kolumne #21: Tonoption 2…
3. Juni 2020Es gibt da diese fast großartige Idee, den Fans vor den Bildschirmen eine Simulation von Stimmung vorzugaukeln. Jubel und Party trotz Geisterspielen, trotz sichtbar leerer Ränge. Martin Stadelmann über die „Tonoption 2″…
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Professionelle Fußballspiele ziehen im Regelfall Zuschauer an. Zuschauer schaffen Atmosphäre, das Spiel schafft Gemeinsamkeit, es ist ein Wechsel zwischen Teams und Zuschauer, die sich gegenseitig hochpushen können. Starke Aktionen erzeugen, Beifall, eigene Tore Jubel, der Schiedsrichter wird bei vermeintlichen Fehlentscheidungen gegen das eigene Team unter Druck von den Rängen gesetzt. Spieler werden durch leidenschaftlichen Support gerne auch mitgerissen, den einen Schritt, so schmerzhaft er auch ist, kann man dann doch noch einmal leichter gehen.
Heftige Debatten sind gerne die Folge. Welcher Support ist besser? Der sogenannte spielbezogene Support oder die durchgängige Unterstützung einer aktiven Fanszene im Spiel, gerne auch von Ultras vorweg vorgetragen. Ellenlange Diskussionen, vor allem aus dem Internet liegen hinter uns, wahrscheinlich liegen noch viele vor uns. Was ist echt? Was ist authentisch? Der Moment, in dem eine Situation die Seele überlaufen lässt oder das organisierte, stets stattfindende Unterstützen, das von einem engen Zusammenhalt der Gruppe zeugt, und mindestens genauso zur Ekstase führen kann? Wir aus dem Stadion wissen natürlich, dass es so eine strenge Trennung in der Realität gar nicht gibt.
Weder das eine noch das andere Anfeuern hat in Zeiten von Corona seinen Platz im Stadion. Und damit fehlt dem Fußball ein Element, das den Stadionbesuch weit über das TV-Erlebnis stellt. Diese gemeinsame Unterstützung des eigenen Teams, das Treffen mit Freunden, all das kann momentan nicht in gewohnter Weise stattfinden.
Das Fernsehen hat seinen Weg in der Corona-Krise gefunden. Sei es Sky, sei es DAZN, dem Fernsehzuschauer soll ein Teil der „Unterhaltung“ nicht fehlen. Konsequent wie stumpf werden Tonspuren mit Fangesängen angeboten. Viel deutlicher lässt sich die Trennung zwischen der Realität des Stadions und der am TV kaum ausdrücken. Künstlich soll auf diese Weise etwas suggeriert werden, was Geisterspiele eben nicht bieten. Emotionen. Ein Stadionerlebnis. Leere Ränge, aber Beschallung auf Tonoption 2. So sehr at sich der Fußball als TV-Konsumprodukt etabliert, dass man auf die „geliebten“ Hintergrundgeräusche nicht verzichten soll. Obwohl „die Ultras“ doch eigentlich immer nerven, weil es doch immer alles so eintönig ist. Jetzt ist es dann plötzlich ganz angenehm.
Wir sehen hier auch, als was Fußballfans im Stadion wahrgenommen werden. Staffage für das schöne Bild, wenn Fahnen geschwungen werden, eventuell gar Choreos dem Zuschauer im heimischen Sessel ein „oh“ entlocken, für das Hörerlebnis am TV durch Anfeuerungen, Gesänge, Pfiffe. Sind die wie jetzt nicht vorhanden, kann man sie halt aus der Konserve ersetzen. Funktioniert ja auch immer wieder total gut bei den Comedy-Serien aus den USA, wenn an entscheidenden oder witzigen Stellen das Gelächter vom Band eingespielt wird. Diese Beschallungskonserve verdeutlicht ein Grundproblem. Der normale Stadionbesucher wird weder von den Funktionären in Frankfurt noch in den Sendezentralen wirklich ernst genommen. Gerade dann, das wissen wir auch aus der jüngeren Vergangenheit (die Affäre Hopp lässt grüßen), wenn es nicht familienfreundlich schmuselig wird, sondern sogar Rechte eingefordert werden. Dann erzählen überbezahlte Zweitligaprofis in Fernsehstudios ungestraft, dass „diese Leute doch lieber in die Kreisliga gehen“ sollten.
In den letzten Wochen, ja Monaten, sogar noch heute wäre Zeit genug, dass DFB/DFL das offene Gespräch mit den Stadiongängern hätten suchen können. Eine Zeit nach Corona vorbereiten, den Austausch suchen.
Wer erhofft hatte, dass sich der Stellenwert des Zuschauers im Stadion in irgendeiner Weise durch die Geisterspiele verbessern werden wird, darf sich eher nicht auf die Zukunft freuen. Tonoption 2 wird das schon richten.