Wahnsinn.
26. November 2022Es gibt so Spiele, die vielleicht am Ende eine besondere Bedeutung haben. Vielleicht war das am Samstag in Wattenscheid so eines. In letzter Sekunde rettete der SC Preußen Münster einen Sieg, den er nur Minuten vorher weggeworfen hatte. Mit einer abenteuerlich schlechten zweiten Halbzeit. Das ist die Geschichte.
Es ist schwer zu beschreiben, was sich in der 96. Minute in Wattenscheid abspielte. Nur wenige Minuten vorher war die Anzeigetafel auf 90 Minuten umgesprungen. Der Schiedsrichter zeigte zwei Hände, 6 Finger, also 6 Minuten Nachspielzeit. Das ging auch in Ordnung, es gab viele, viele Unterbrechungen in einer aus Preußensicht komplett verkorksten zweiten Halbzeit.
Kaum war die Nachspielzeit angebrochen, brachen auch in Wattenscheid alle Dämme: Tim Brdaric traf da zum 4:4, ein Ausgleich, den sich Wattenscheid in Unterzahl (Dennis Lerche sah nach 65 Minuten Gelb-Rot) durch einen leidenschaftliche Auftritt mehr als verdient hatte. Und wo soll man da anfangen? Brdaric, Sohn das früheren Leverkusener Profis Thomas Brdaric, war in der 1. Halbzeit fast schon ausgewechselt, weil er sich in einem Zweikampf den Knöchel verdreht hatte. „Du hast keine Stabilität drin“, beschwor Wattenscheids Physio den Spieler, wollte seine Auswechslung, doch Brdaric kehrte zurück aufs Spielfeld. Und war nach 92 Minuten der Held aller Wattenscheider unter den 2.700 Zuschauern (mit großem Vorsprung Saisonrekord). Das 4:4 war die Höchststrafe für den SCP, der das komplette Spiel aus der Hand gegeben hatte, das er zur Pause noch im Stile einer Spitzenmannschaft dominiert hatte.
Wattenscheid feierte vor den eigenen Fans, Preußen-Trainer Sascha Hildmann wirbelte an der Seitenlinie, winkte seine Spieler nach vorn. Das war Kahn-Style, immer weiter, immer weiter. Und Wattenscheid wollte diesen hochverdienten Punkt halten – und beging den großen Fehler: Die Mannschaft zog sich zurück, machte Platz. Nur deshalb kam der SCP noch einmal mit Wut, mit Wucht vor das Wattenscheider Tor. Simon Scherder stieg hoch, köpfte fast perfekt – Torwart Kilian Neufeld wischte den Ball so gerade noch über das Tor. Eckball, ab in die Mitte, alle Preußen vorn, am Ende bringt Scherder den Ball im Netz unter. Und dann brach die Hölle los. Fans stürmten von der Tribüne Richtung Eckfahne, die gesamte Mannschaft raste zu Scherder, der Torwart, der Trainer, Fans, es war ein einziges Durcheinander. Den Abpfiff hörte niemand, doch musste Schiri Lars Aarts in den Jubel hinein abgepfiffen haben, es war die letzte Aktion des Spiels. Es war ein einziger Jubeltaumel, Ungläubigkeit angesichts einer aberwitzig schlechten Halbzeit. Von totaler Enttäuschung zu fassungslosem Freudentaumel binnen Sekunden. Unglaublich, ein Spiel für das Archiv, die dauerhafte Erinnerung.
Vor dem imposanten Preußenblock bauten sich dann alle Spieler auf, die Fans im Rücken. Fans, die nach dem 4:4 fassungslos waren, die aber über 96 Minuten da waren, um die Mannschaft zu unterstützen und die am Ende auch belohnt wurden. Ein Erinnerungsfoto für die gesamte Saison – zuletzt gab es so ein starkes Bild nach dem knapp verpassten Aufstieg im Frühsommer. Bemerkenswert.
Spielstatistik:
Wattenscheid: Neufeld – Sindermann, Brdaric, Schurig, Britscho – Tunga – Lucas (86. Jessey), Meier (46. Canbulut) – Sané (46. Yildiz), Lerche, Renke (60. Kesim)
SCP: Schulze Niehues – Koulis, Kok (46. Scherder), Hahn (64. Atmaca) – Teklab (55. Langlitz), Remberg, Grote, Lorenz – Oubeyapwa (55. Bouchama) – Wegkamp, Wooten
Tore: 0:1 Wooten (10.), 0:2 Wegkamp (12.), 0:3 Lorenz (40., Foulelfmeter), 1:3 Meier (43., Foulelfmeter), 1:4 Wegkamp (44.), 2:4 Lerche (48., Foulelfmeter), 3:4 Yildiz (78.), 4:4 Brdaric (92.), 4:5 Scherder (96.)
Zuschauer: 2.701
Gelb: Brdaric, Renke / Kok, Koulis, Grote
Gelb-Rot: Lerche (65.)
Tabellen, Ergebnisse, nichts interessierte in diesem Moment am Samstagnachmittag. Mit Willenskraft und Glück und Scherders rechtem Fuß eroberte sich der SCP den verlorenen Sieg zurück – und hinterließ sicher auch die Konkurrenz ernüchtert, die wegen des verzögerten Anstoßes in Wattenscheid mit den Spielen schon durch war und so miterlebte, wie Wattenscheid erst alles gewann, dann alles verlor.
Ein Spiel aus der Märchengeschichtenbox des Fußballs, eine besondere Wegmarke für die Preußen. Und die Videoanalyse am Sonntag wird sicher auch streckenweise weh tun. Aber das wird zu verkraften sein.
Spätestens, wenn Scherders Auftritt in der 96. Minute an die Reihe kommt.
Spiele am 18. Spieltag | ||
SV Lippstadt 08 | 2:2 (2:2) | Fortuna Köln |
SG Wattenscheid 09 | 4:5 (1:4) | SC Preußen Münster |
SC Wiedenbrück | 3:1 (1:0) | Fortuna Düsseldorf II |
1. FC Bocholt | 0:3 (0:2) | 1. FC Düren |
Alemannia Aachen | 3:1 (2:1) | RW Oberhausen |
Borussia Mönchengladbach II | 2:1 (2:0) | 1. FC Kaan-Marienborn |
SV Straelen | 0:0 (0:0) | FC Schalke 04 II |
1. FC Köln II | 2:2 (2:0) | SV Rödinghausen |
RW Ahlen | verlegt | Wuppertaler SV |
18. Spieltag | |||||
Mannschaft | Sp. | Tore | Diff. | Punkte | |
1 | SC Preußen Münster | 18 | 48:20 | 28 | 41 |
2 | Borussia Mönchengladbach II | 18 | 32:21 | 11 | 33 |
3 | Alemannia Aachen | 18 | 29:21 | 8 | 32 |
4 | Wuppertaler SV | 17 | 31:19 | 12 | 31 |
5 | SV Rödinghausen | 18 | 31:17 | 14 | 28 |
6 | 1. FC Kaan-Marienborn | 18 | 26:26 | 0 | 28 |
7 | FC Schalke 04 II | 18 | 35:24 | 11 | 27 |
8 | SV Lippstadt 08 | 18 | 31:32 | -1 | 27 |
9 | RW Oberhausen | 18 | 31:32 | -1 | 26 |
10 | SC Wiedenbrück | 18 | 28:21 | 7 | 23 |
11 | Fortuna Köln | 17 | 20:25 | -5 | 23 |
12 | Fortuna Düsseldorf II | 18 | 32:39 | -7 | 22 |
13 | 1. FC Düren | 18 | 22:33 | -11 | 22 |
14 | 1. FC Köln II | 18 | 27:36 | -9 | 20 |
15 | RW Ahlen | 17 | 28:34 | -6 | 19 |
16 | 1. FC Bocholt | 17 | 27:40 | -13 | 19 |
17 | SG Wattenscheid 09 | 18 | 25:47 | -22 | 15 |
18 | SV Straelen | 18 | 11:27 | -16 | 9 |